Ein Artikel vom 16.12.1934 aus dem "Neuen Vorwärts":

Der Vorwärts ist bis heute das Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie und wurde 1876 gegründet. Während der Nazidiktatur wurde das Blatt eingestellt, jedoch gab der ins Prager Exil geflüchtete Perteivorstand ab 1933 unter dem Titel "Neuer Vorwärts" wieder eine wöchentliche Zeitung heraus.



Knappertsbusch und Götz von Berlichingen


Die Münchener Nazi sind über ihren ehemaligen Liebling Hans Knappertsbusch fuchsteufelswild ergrimmt. Daß er einmal ihr Liebling war, hatte folgenden Grund. Im Jahre 1922 war München zwar noch nicht amtshitlerisch geworden, aber für den Teutonenheiligen aus Braunau hatte die Bevölkerung bereits soviel Liebe, daß der Staat, eben erst von Kahr, Pöhner, Roth reaktionär verdorben, gern sein Gebiet zum Aufmarschfeld des Nationalsozialismus gegen das republikanische Deutschland hergab. In diesem München repräsentierte  B r u n o   W a l t e r  das musikalische Kunstleben bereits über ein Jahrzehnt als Nachfolger  F e l i x   M o t t l s. Er ist unbestrittenermaßen der beste Mozart-Interpret der Gegenwart, auch sonst ein Dirigent von großem Format, aber er ist als Jude namens Schlesinger geboren und das nahmen ihm die bajuwarischen Urarier um Hitler und seinen flankenschützlerischen Anhang damals sehr übel. Die völkische Presse begann zu stänkern, in den Aemtern des Kultusministeriums wurde intrigiert, Walter ging eine Weile darüber stillschweigend hinweg, dann reichte er  s e i n e   D e m i s s i o n  ein. So ziemlich alles, was in München einen guten Künstler- oder Gelehrtennamen hatte, bat ihn in einem Huldigungsschreiben um Widerruf seines Abschiedsgesuches. Hanns(!) Pfitzner huldigte am meisten, beschwor am stärksten Bruno Walter, seinen Entschluß zu revidieren. Der gekränkte Künstler bestand auf Entlassung und verließ sozusagen fluchtartig das Dirigentenpult der Münchner Staatsoper. Nach dem Juden mußte ein zweihundertprozentiger Arier heran, also einer, der es nicht nur war, sondern auch so aussah. Diesen fand man in der Person des  D e s s a u e r   G e n e r a l m u s i k d i r e k t o r s   H a n s   K n a p p e r t s b u s c h. Nun, der Mann hatte seine Meriten als Musiker, aber damals legitimierte er sich für die Nachfolgeschaft Bruno Walters ebenso oder mehr dadurch, daß er ganz sicher arische Vorfahren bis zum 1. Scheiding 1700 herauf in seinem Stammbaum hat. Außerdem ist er eine riesengroße Athletengestalt mit Langkopf, blauen Augen und rotblondem Haar; er gilt als hochpatriotischer Deutschnationaler und im Dienst benimmt er sich manchmal etwas rauhbeinig. Also hatten ihn die Nazis einst so lieb. Der "Völkische Beobachter" feierte ihn als den "genialsten Dirigenten" nach Hans von Bülow und als den künstlerischen Sachwalter der deutschen Musik.

Jetzt ist die Freundschaft aus. Sie schmähen ihn; sie verlangen seine Demission und es heißt, daß er bereits um Amtsenthebung nachgesucht habe. Es soll die Nazis durch die Annahme einer neuitalienischen Oper geärgert haben. Vielleicht haben sie sich auch darüber geärgert; aber viel mehr erzürnt hat er sie durch wiederholte Absagen an den Nationalsozialismus. Bei festlichen Anlässen trägt er sein E. K. I., aber nie ein Hakenkreuz; er ist nicht heranzukriegen, eine Feier mit dem vertonten Stümpergedicht des Zuhälters Horst Wessel einzuleiten oder abzuschließen.


Ganz besonders übelgenommen haben sie ihm einen Auftritt vor nahezu zwei Jahren.


Im März 1933 sollte Bruno Walter zwei Konzerte im Kaim-Saal dirigieren. Der Kontrakt war abgeschlossen gegen Weihnachten 1932. Nach der Machtübernahme Hitlers fragte der Geschäftsleiter der Kaim-Konzerte beim Kultusministerium an, wie er sich Walter gegenüber verhalten solle. Der Nazi-Minister Schemm antwortete, daß er selbst die Entscheidung aus dem "Taktgefühl gegenüber der nationalen Erhebung" treffen müsse. Anonyme, pseudonyme und mit richtigem Namen unterzeichnete Drohbriefe liefen bei der Direktion ein. Als Walter davon erfuhr, sagte er selbst ab. Nun galt es, einen Ersatzdirigenten zu finden. Nach allem, was vorgekommen war, hoffte man, daß Verstimmungen zwischen Knappertsbusch und Walter zurückgeblieben seien und daß jener bereitwilligst zusagen werde.


Der Direktor der Kaim-Konzerte begab sich in das Büro des Opernchefs. Er trug sein Anliegen vor. Knappertsbusch dankte höflich, weigerte sich aber ganz entschieden, den Auftrag anzunehmen. Der Direktor bat abermals, beschwor mit seiner ganzen Beredtsamkeit, ihn nicht im Stich zu lassen. Eine Ausnahmesituation wie diese erfordere eine Ausnahmeentscheidung. Knappertsbusch wurde ungeduldig, wurde wütend.


"Es ist unfair, einen Künstler aus unkünstlerischen Gründen wegzuekeln; es ist unfair, wäre eine glatte Schweinerei, so etwas durch Uebernahme seines Auftrages zu begünstigen."


Der Disput ging weiter. Schließlich berief sich der Direktor darauf, daß eine "sehr hohe Stelle" - er meinte den General Epp - Knappertsbusch' Eintreten für Walter wünsche.


"S a g e n   S i e   I h r e r   h o h e n   S t e l l e ,   d a ß   s i e   m i c h   a m   . . . .   l e c k e n   k a n n".


R i c h a r d   S t r a u ß   u n d   H a n s   P f i t z n e r  dachten anders. Der eine dirigierte das erste, der andere das zweite Walterkonzert. Der Vorfall durfte nicht bekanntgegeben werden, er hat sich aber noch in München halbwegs herumgesprochen. Seither war Knappertsbusch bei den Nazis in Ungnade gefallen.


(Neuer Vorwärts, 1934, Nr. 79 (16.12.1934), Beilage, S. [3], Spalte b)
Autor: keine Angabe



Anmerkungen zum Artikel:

1.
Die Hervorhebungen im Text des Artikels entsprechen denjengen der Original-Veröffentlichung, gleiches gilt für die Absatzgestaltung.
2. Kahr, Pöhner, Roth: Gustav Kahr (1862-1934) 1920-1921 Bayerischer Ministerpräsident und Außenminister. Beteiligt an der Niederschlagung des Hitlerputsches (1923). Ermodet 1934 durch díe SS. /  Ernst Pöhner (1870 -1925) war 1919-1921 Polizeipräsident in München; Landtagsabgeordneter, Mitglied der NSDAP.  / Christian Roth (1873-1934) war Jurist, Verwaltungsbeamter und Politiker (DNVP, NF, NSDAP) 1920-1921 Bayerischer Justizminister. Von dem "Dreigestirn Kahr, Pöhner, Roth" war die damals zuweilen die Rede.
3.
Scheiding: Veraltete Bezeichnung für "September"
4.
E. K. I. : Eisernes Kreuz erster Klasse, preussische Kriegsauszeichnung seit 1831, besonders im 1. Weltkrieg häufig verliehene Auszeichnung. Der Orden besaß zu dieser Zeit drei Klassen, die Klasse 1 ist die mittlere Klasse.
5.
Horst Wessel: SA-Sturmführer, seit 1926 Mitglied der NSDAP. Autor eines Gedichts, dessen Vertonung später als das "Horst-Wessellied" bekannt wurde. Wessel wurde 1930 von dem KPD-Mitglied Albrecht Höhler ermordet. Daraufhin wurde er von der NSDAP zum Märtyrer der Bewegung verklärt. Da er mit einer Prostituierten zusammenlebte, hing ihm der Ruf des Zuhälters an, wobei allerdings nicht geklärt ist, ob er wirklich einer war.
6.
Dem Kaim-Orchester (den späteren Münchner Philharmonikern) stand Siegmund von Hausegger (1872-1948) als Generalmusikdirektor von 1920 bis 1938 vor. Wer in dieser Zeit Geschäftsführer des Orchesters war, konnte ich noch nicht ermitteln.
7.
Hans Schemm (1891-1935) war Gauleiter der sog. Bayerischen Ostmark und SA-Gruppenführer. Ab 16. März 1933 (zunächst kommissarischer) Kultusminister Bayerns.
8.
Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1946) war Berufssoldat, nationalsozialistischer Politiker und von 1933 bis 1945 Reichsstatthalter in Bayern.






































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