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"Ich lasse mir doch von Ihnen meine Tempi nicht versauen!"

Hans Knappertsbusch war ein Liebhaber der breiten Tempi und der zuweilen eigenwilligen Zeitmaße. Es wird ihm der Ausspruch nachgesagt, "Wer genießt, lässt sich Zeit." In der Tat zählen seine Tempi nur selten zu den Schnellsten. Jedoch besaß er die Fähigkeit, seine Zeitmaße mit der entsprechenden Spannung zu versehen, sodass nie der Eindruck der Trägheit oder des Zerfließens entstand. Gerade in unserer schnelllebigen Zeit wirken seine Tempi ungewohnt, für den dem Zeitgeist huldigenden Hektiker vielleicht sogar verstörend. Dabei waren diese Tempi im allgemeinen gar nicht so außergewöhnlich langsam. Die Zeit, die er gegenüber den schnellen Dirigaten eines Stückes durch andere Dirigenten zugab, liegen etwa im 5-Prozent-Bereich.



Knappertsbusch zu John Culshaw, nachdem zu Testzwecken einige Takte aus dem ersten Akt der Walküre aufgenommen worden waren:
"Hören Sie sich's an und sagen mir dann, was damit nicht stimmt."
Dann grinste er: "Natürlich werden Sie sagen, es ist zu langsam. Alle sagen, ich bin zu langsam!"

aus : John Culshaw, Ring Resounding S. 66



"Man hat immer gesagt, der Knappertsbusch sei zu langsam. Er war gar nicht so langsam.Wenn man die Dirigierzeiten, die doch immer in Bayreuth verglichen werden, heranzieht, ist er beileibe nicht einer der langsamsten Dirigenten in Bayreuth gewesen." 

Hans Hotter in einem Interview 1994



"Er könnte die dritte Symphonie von Brahms im halben Tempo spielen, und es würde den Zuhörer immer noch nicht langweilen, weil es musikalisch gesehen Sinn machen würde."

Zubin Mehta



"Kna", der allseits verehrte Münchner Opernchef , machte eigenwillig manchmal aus einem Allegro ein Andante. Das Publikum sah ihm alle Extravaganzen nach. Als Strauss einmal Salome dirigierte, lud er ihn ein: "Hören Sie sich doch mal an, wie ich es mache." Kna: "Ich denke nicht daran! Ich lasse mir doch von Ihnen meine Tempi nicht versauen". Das war scherzhaft gemeint. Strauss lachte, aber nicht sehr.

aus: Kurt Wilhelm, "Richard Strauss persönlich", Henschel-Verlag Berlin, 1999, S. 304



"Die Zeitmaße, die er anschlug, waren oft eigenwillig, doch überzeugte er zumeist damit, und so manche Episode erklang durch seine gemäßigten Tempi erst in ihrer vollen Schönheit."

Otto Strasser, Geiger, Vorstand der Wiener Philharmoniker von 1958-67

aus: "150 Jahre Wiener Philharmoniker", Preiser Records Wien, 1992



"Ein Orchestermitglied sagte nach einer Vorstellung der Götterdämmerung: »Da hat man nun jahrelang da gesessen, mit diesen unmöglichen Notenfiguren gekämpft und Wagner verflucht, der nichts für Instrumente Spielbares schreiben konnte. Am Ende hat man resigniert und einfach nur das Wichtigste gespielt. Und nun kommt dieser Hexenmeister daher und verfährt einfach nur lockerer mit der Atmung. Nichts Besonders - und plötzlich kann man doch jeden Ton der Stimme spielen!"

(nach: Birgit Nilsson, "La Nilsson - Mein Leben für die Oper", S. 106-107, Fischer Taschenbuch-Verlag)




Exemplarisch: "Eine Alpensinfonie" von Richard Strauss


Dirigent
Orchester
Datum
Zeit [min:sec]
Strauss
Bayerische Staatskapelle
1941
44:00
Solti
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
1979
44:18
Knappertsbusch
Wiener Philharmoniker
20.4.1952
47:29
Durchschnitt

48:10
Kempe
Staatskapelle Dresden
9/1971
49:28
von Karajan
Berliner Philharmoniker
1980
50:52
Thielemann
Wiener Philharmoniker 10/2000
52:53


Somit ist der Kna also sogar etwas schneller als der Durchschnitt der betrachteten Aufnahmen!